Geschichte
Marc Lippuner, Stipendiat im Künstlerhof, lenkt den Blick auf die verlorenen Orte dieser Stadt, zum Beispiel den Geflügelschlachthof.
Von Karin Schlütter
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Vom einstigen Geflügelschlachthof ist nur noch ein Haufen Steine übrig. Es ist ein Abriss mit Hindernissen. Fotos: frankphoto.de |
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Schleusingen - Ein halbes Jahr lebt und arbeitet Marc Lippuner im Künstlerhof "Roter Ochse" Schleusingen. Der 31-jährige Regisseur aus Berlin hat wie kein anderer Stipendiat vor ihm, die kleine Stadt entdeckt - ohne Vorbehalte, mit dem ihm eigenen Blick auf Land und Leute - vor allem die Leute. Wie sie heute leben, 20 Jahre nach dem Mauerfall, das interessiert ihn, das saugt er auf. Was ist geblieben von Damals? Wie lebt es sich heute zwischen Kohlberg und Bergsee? Er lässt Kinder ihre Lieblingsorte entdecken, und sechs Frauen Theater spielen oder besser, sich selbst spielen. Er schreibt eine Geschichte über den Geflügelschlachthof, kurz bevor der Abrissbagger anrückt und stromert durch das Hilde-Coppi-Heim, das möglicherweise das Schicksal des Schlachthofes teilen wird.
Für seine Geschichte "Ein letzter Besuch" erhält er den dritten Preis beim Suhler Literaturwettbewerb "Provinzschrei". Zur Preisverleihung kommt eine zwölfköpfige "Fan-Gemeinde" aus Schleusingen und sorgt damit für ein Besucherresonanz wie sie diese sonst wenig frequentierte Veranstaltung im bankettsaal des Suhler CCS bisher kaum erlebte.
Mit seiner außergewöhnlichen fähigkeit zum Kommunizieren, öffnet er sich die Menschen. Sie erzählen ihm, dem jungen Fremden, ihre Geschichten, von ihrer ersten Liebe im Saal des Hotels "Frieden" bzw. "Grünen Baums" . . .
Morgen Abend werden "Die drei Schwestern", die eigentlich sechs und kein Tschechow sind, noch einmal im ausverkauften Saal des Roten Ochsen darüber nachdenken lassen, was für sei "Heimat" heißt. Nach zwei Vorstellungen ist die Ankündigung auf die dritte und letzte so groß, dass die Nachfrage die Kapazitätl des Saales bei weitem übersteigt. "Die Inszenierung, bei der das Publikum auf der Bühne - also mitten im Geschehen - sitzt, beschränkt leider die Platzzahl", bitten Vorstand und Kuratorium des Künstlerhofs um Verständnis. Doch auch für diejenigen, die kein Ticket für die "Drei Schwestern" um 19.30 Uhr bekommen konnten, ist der Besuch im Roten Ochsen am Freitag sicher interessant. Das Künstlerhof-Team lädt zu einem Glas Wein oder einem anderen Getränk, vielleicht schon vor 21 Uhr, ein. Um 21 Uhr soll dann die Ausstellung "Verlorene Orte - Texte, Bilder, Fundstücke" mit einer Lesung von Marc Lippunter offiziell eröffnet und danach der Stipendiat verabschiedet werden.
Schlachthof-Abriss wird teurer
In der Ausstellung wird der ehemalige Geflügelschlachthof eine Rolle spielen. Die Ruine hat Marc Lippuner kurz vor dem Abriss durchstreift und seine Beobachtungen und Emotionen niedergeschrieben (siehe Beitrag "Ein letzter Besuch").
Es ist ein Abriss mit Hindernissen. "Es stagniert im Moment", sagt Bürgermeister Klaus Brodführer auf Nachfrage von Freies Wort. "Es gibt eine Kostenerhöhung, die begründet ist." Diese würde sich daraus ergeben, weil der Kontaminierungsgrad auf dem Schlachthof-Gelände tatsächlich höher ist als es die Probenanalysen bei der Voruntersuchung ergeben hätten.
De facto: "Wir müssen Fördermittel nachfassen", kündigte der Bürgermeister an ohne die Höhe der zusätzlichen Kosten zu benennen. "Dass soll der Stadtrat nicht aus der Zeitung erfahren", begründete er seine Zurückhaltung. Um kleine Beträge dürfte es sich dabei aber nicht handeln. Am 11. und 12. November habe die Stadtverwaltung einen Termin im Landesverwaltungsamt. Selbst wenn zusätzliche Fördermittel bewilligt werden, die Stadt muss ja auch ihren Eigenanteil dazu beisteuern.
Trotz des derzeitigen Abrissstopps, hält die Stadtverwaltung an ihrem Ziel fest: Bis Ende des Jahres soll das Terrain so geebnet sein, dass es für Neuansiedlungen bereit ist. Ausgeschrieben sind die Flächen. "Nachgefragt hat bisher noch keiner", so der Bürgermeister. Bleibt zu hoffen, dass das Terrain nicht auf Dauer ein verlorener Ort ist, sondern neues Leben dort einzieht.
aktualisiert von Thomas G. Marzian, 23.04.2010, 14:34 Uhr |