Immer geradeaus und manchmal auf Umwegen
Von Karin Schlütter
Schleusingen - Im voll besetzten Saal des Schleusinger Künstlerhofs fand Landolf Scherzer interessierte und aufmerksame Zuhörer als wenige Tage zuvor die Grand Dame des Kabarett, Zara Arnold. Der Schriftsteller Landolf Scherzer - von Suhl-Dietzhausen nach Erfurt umgesiedelt - rief am Mittwochabend im "Roten Ochsen" viele Lesefreudige auf den Plan, die er mit seinen literarischen Reportagen ohnehin schon in seinen Bann gezogen hat und die nun neugierig waren auf den neuesten Reportageband: "Immer geradeaus - Zu Fuß durch Europas Osten". So muss der große Saal des Künstlerhofes noch einmal aufgestuhlt werden, damit alle Platz finden.
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Im voll besetzten Saal des Schleusinger Künstlerhofs fand Landolf Scherzer interessierte und aufmerksame Zuhörer. Foto: frankphoto.de |
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"Es ist der Auftakt zum Welttag des Buches, an dem wir am Freitag (also heute) noch weitere Veranstaltungen anbieten", begrüßt Annette Rockenstein von der Buchhandlung am Markt die Gäste. Und das waren bei weitem nicht nur Schleusinger. "Wer uns kennt, weiß, dass wir nur Bücher empfehlen, die wir selbst gelesen haben und die wir gut finden", sagt sie. "Und dieses Buch hat mich gefesselt von der ersten Seite an."
"Dieses Buch", erklärt Scherzer dann, "wäre so nie geschrieben worden, wenn alles planmäßig verlaufen wäre." So lief es aber nicht. Denn der Trecker, mit dem sein Freund Willi vorausfuhr, war nicht am verabredeten Treffpunkt. Der 50 Jahre alte Deutz-Traktor und der Bastei-Wohnwagen - das war dem Willi dann doch zu gefährlich.
Aus Traktor-Tour wurde nichts
Er drehte um, noch bevor er Ungarn erreicht hatte. Und Scherzer, Jahrgang 1941, lief, weil er nicht aufgeben wollte, mit seiner alten Kraxe zu Fuß los - immer geradeaus. Statt der Traktor-Tour durch sieben Länder wanderte er entlang der Grenze zwischen Ungarn, Kroatien, Serbien und Rumänien.
Weil Scherzer so erzählt wie er schreibt, lässt er bei den Zuhörern Bilder entstehen. Das Anti-Zecken-Klo beispielsweise, das sein Freund Willi als unverzichtbar zum Schutz vor den bissigen Winzlingen konstruierte, "ein Plastehocker, in dessen Sitzfläche Willi ein Loch herausgesägt hatte" - die Zuhörer konnten sich zumindest Scherzer gut in der freien Natur vorstellen. Aber das Anti-Zecken-Klo fuhr im Wohnwagen zurück mit den Wörterbüchern, Landkarten, der Wäsche und den Schuhen.
Es wurde eine abenteuerliche Tour, die Landolf Scherzer in seinem jüngsten Reportageband beschreibt. Von den Begegnungen mit Menschen erzählt er, die er unterwegs traf: ungarische Flurwächter, kroatische Friedhofspfleger, rumänische Fußballtrainer, gastfreundliche Roma . . .
"Es ist ein oberflächliches Buch", gesteht der Autor, "denn es geht nicht in Tiefe. Ich habe den Hass gespürt zwischen Serben und Kroaten . . . Ich habe nur das aufgeschrieben, was ich an staubigen Straßen gesehen und gehört habe." Vielleicht ist es gerade deshalb so spannend.
Am Ende des Vortrags stehen die Leute geduldig an, um sich den neuen Band vom Autor signieren zu lassen. Und Annette Rockenstein überreicht ihm ein Osteuropapaket mit ungarischem Wein, Schafskäse und Paprika.
Landolf Scherzer: Immer geradeaus - Zu Fuß durch Europas Osten, Aufbau-Verlag, 19.90 Euro, ISBN 978-3-351-02715-5
aktualisiert von Thomas G. Marzian, 23.04.2010, 14:31 Uhr |